Oberflächlich betrachtet könnte man Neunaugen ekelhaft finden, aber wenn man sich mit ihnen näher beschäftigt, so findet man viele faszinierende Details und Verhaltensweisen. Für uns Angler sind sie nicht nur als Köder oder Fischnährtiere interessant. Es handelt sich bei den Neunaugen nicht um Fische im eigentlichen Sinn, sondern um ursprüngliche Vorläufer der modernen Fische, die Gruppe der Rundmäuler. Aus Österreich sind derzeit 2 Arten von Neunaugen bekannt, möglicherweise kommen aber auch mehr Arten vor.
Grundsätzlich unterscheidet man bei den Neunaugen zwischen parasitischen Formen, wie dem ins Meer wandernden Flussneunauge oder dem großwüchsigen Meerneunauge, und nicht parasitierenden Formen. In Österreich kommen ausschließlich nicht parasitierende Arten vor, die ganzjährig im Süßwasser leben, nämlich einerseits das Bachneunauge, Lampetra planeri, und andererseits das Ukrainische Bachneunauge, Eudontomyzon mariae. Die Verbreitung dieser beiden Arten war bisher nur in groben Zügen bekannt und wird im Detail gerade erst erforscht. Grob umrissen kommt Lampetra nur im Mühl- und nördlichen Waldviertel vor, während Eudontomyzon weiter südlich lebt.
Der Grund, wieso über die Verbreitung so wenig bekannt ist? Gut zu unterscheiden sind sie nur anhand der so genannten Saugscheiben ausgewachsener Tiere – bestialisch aussehender Strukturen, die als Überbleibsel der parasitisch lebenden Vorfahren gedeutet werden können. Anhand der Bezahnung dieser Saugscheibe können Experten die verschiedenen Arten unterscheiden.
Bestimmungsmerkmal: Bezahnung von Lampetra (links) und Eudontomyzon (rechts) |
Viele Jahre lang leben die Larven der Neunaugen in Sandbänken vergraben und ernähren sich, indem sie organische Partikel oder Kieselalgen aus dem Wasser filtrieren. Dieses als Querder bezeichnete Stadium besitzt keine Saugscheibe und auch keine Augen. Querder von Eudontomyzon werden mit bis zu 23 cm etwas größer als jene von Lampetra, die meist deutlich unter 19 cm bleiben.
Querder (unten) und ausgewachsenes Lampetra (oben) |
Erst im Herbst ihres vorletzten Lebensjahres verwandeln sich die Querder in ausgewachsene (adulte) Neunaugen. Diese schrumpfen wieder etwas und sind daher kürzer als die größten Querder. Sie besitzen zusätzlich zu den 7 Paar Kiemenöffnungen auch ein Paar Augen. Die Adulten fressen nichts mehr (der Verdauungstrakt ist rückgebildet), überwintern, und beginnen im April bis Juni mit dem Laichgeschäft.
Detailaufnahmen eines Querdes (links) und eines ausgewachsenen Eudontomyzon (rechts) |
Dabei sammeln sie sich in Gruppen auf kiesigen Furten und heben Laichgruben aus, indem sie sich auf Steinen festsaugen und diese wegtragen. Sand und feiner Kies wird durch die hektischen Flossenschläge ausgeschwemmt. Teilweise helfen mehrere Neunaugen zusammen und können dadurch auch recht große Steine bewegen. Genau dieses Verhalten wird beim Huchenzopf imitiert – ein wild schlängelndes Bündel von Neunaugen, das am Grund abtreibt.
Ausheben einer Laichgrube |
Nachdem die Grube ausgehoben wurde beginnt das eigentliche Laichgeschehen. In der Regel nimmt daran eine ganze Gruppe von Neunaugen je Laichgrube teil. Immer wieder packen die Männchen die Rogner, indem sie sich am Nacken festsaugen. Mit dem Schwanz bilden sie einen Ring, der den Hinterleib des Weibchens umschlingt. Unter hektischen Bewegungen beginnt die Eiabgabe – die Eier werden dabei quasi aus den Rognern herausgeschüttelt. Die ausgewachsenen Männchen verfügen über einen penisförmigen Fortsatz, mit dem sie ihre Milch zielgerichtet beimischen. Nach dem Ablaichen bleiben die ausgezehrten Tiere teils einfach auf der Grube liegen und zeigen keine Fluchtreaktion mehr. Sie sterben wenige Tage später.
Geschafft – eine etwa Tellergroße Laichgrube ist ausgehoben |
Bündel laichender Ukrainischer Bachneunaugen |
Ekstatisches Ablaichen – das Männchen umschlingt das Weibchen |
Die winzigen Eier entwickeln sich in wenigen Wochen zu nur 3 mm langen Querdern. Diese vergraben sich in Sandbänken und leben viele Jahre im Verborgenen, bis sie eines Tages als Adulte wieder in Erscheinung treten.
„Penis“ eines Neunaugen-Milchners | Junger Querder von 2 cm Länge |
Waren Neunaugen im 19. Jahrhundert in Österreich von der Unteren Forellenregion bis zur Barbenregion noch sehr häufig und weit verbreitet, so sind sie durch den Verbau der Gewässer stark zurückgegangen. Wo durch Regulierung keine sandigen Sedimentbänke mehr vorkommen, oder durch den Aufstau kiesige Laichplätze verloren gegangen sind und Sandbänke von Schlamm überdeckt werden, verschwinden auch die Neunaugen. Recht häufig ist das Bachneunauge heute noch in der Großen Mühl oder in der Aist, während gute Bestände des Ukrainischen Neunauges beispielsweise noch in Abschnitten der Enns, der Mur, sowie in einigen kleineren Flüssen zu finden sind.
In einem natürlichen Bach (links) kommen Laich- und Querderhabitate vor, in einem hart verbauten (rechts) fehlen vor allem die Sandbänke |
Als filtrierende Lebewesen sind sie besonders empfindlich auch gegenüber Gewässerverschmutzungen. Unsere Bäche und Flüsse sind in Bezug auf die Wassergüte heutzutage wieder weitgehend sauber genug – strukturell wurden sie aber leider stark in Mitleidenschaft gezogen. Auch wo das Habitat noch oder wieder intakt ist, können Neunaugen verloren gegangene Lebensräume nur schwer wiederbesiedeln. Vor allem die Querder sind sehr schwimmschwach, aber auch die Adulten können Hindernisse nicht springend überwinden. Daher können sie auch manche der heute gebauten Fischaufstiegshilfen nicht passieren, um Gebiete neu zu besiedeln.
Ausgegrabene Neunaugenquerder über ihrem typischen Lebensraum – mit organischem Material durchmischten Sandbänken |
In früheren Zeiten kamen Neunaugen so massenhaft vor, dass sie mit Reusen gefangen oder ausgegraben wurden, und als „Speisefisch“ auf Märkten in der Einheit von Kandeln (ca. 1,2 l) feilgeboten wurden. Bekannter ist ihre Verwendung als Köder – dem legendären Huchenzopf. Weniger bekannt ist, dass sie mancherorts erfolgreich auch als Köder zum Hechtfischen eingesetzt wurden. Bleibt zu hoffen, dass diese interessanten Tiere wieder einmal so häufig werden, dass wir sie wie unsere Vorfahren zum Fischen oder eingelegt als Delikatesse (?!?) verwenden können.
Auch Bachforellen vergreifen sich gerne an Neunaugen – sie sind sehr nahrhafte Fischnährtiere! |
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